WOHNQUARTIER GRÜNHEIDE, BIELEFELD
IM BAU

Das neue Stadtquartier Grünheide Bielefeld

An der Jöllheide im Nordwesten des Bielefelder Stadtbezirks Mitte entsteht jetzt das Wohnquartier Grünheide. Es wird mit rund 600 Wohneinheiten eines der größten der Stadt. Auf acht Hektar Fläche will der Investor Amandla International GmbH & Co. KG (Unna) 400 City-Appartements – darunter rund 100 Sozialwohnungen – in zwei- bis dreigeschossigen Häusern mit aufgesetzten Staffelgeschossen errichten. Dazu entstehen 30 Doppelhäuser, 15 Reihenhäuser und neun freistehende Einfamilienhäuser.

In einem weiteren Bauabschnitt können zur Bahnlinie hin weitere Gebäude mit rund 100 Wohneinheiten entstehen. Angedacht sind Spezialimmobilien für Pflegeeinrichtungen oder Studentenwohnungen. Ein weiterer wichtiger Teil des Konzepts ist eine fünfzügige Kindertagesstätte. Die Gesamtinvestition liegt ersten Kalkulationen zufolge bei mehr als 100 Millionen Euro. Die Grundsteinlegung erfolgte im Sommer 2020; die Fertigstellung soll  etwa vier Jahren später erfolgen.

„Eine CO2-freie Wärmeversorgung ist heute dank Big Data möglich“

Die Energiewende fordert vor allem eines – neue Ideen, neue Konzepte. Und zwar von jenen, die durch ihre Arbeit über die Nutzung von Energie entscheiden: Die Planer von Versorgungstechnik, ohne die heute kein größeres Bauprojekt mehr denkbar ist. Sie brauchen Mut, um Herkömmliches zu lassen und viel frisches Wissen, um Neues zu entwickeln. Was heute schon in Sachen Decarbonisierung und langfristiger Energiekosteneinsparung geht, hat das Team des Ingenieurbüros Reich + Hölscher bei der Wärmeversorgung für das Bielefelder Wohnquartier Grünheide gezeigt. Wir sprachen mit Inhaber Michael Kapke.

Was markierte den Startpunkt für die Planung der Grünheide?

Kapke: Wir haben den Bauherren empfohlen, für die Mehrfamilienhäuser auf eine konventionelle Beheizung und Warmwasserversorgung zu verzichten. Und sie sind unserem Rat gefolgt.

Was ist daran ungewöhnlich?

Kapke: Bei den meisten Bauherren ist die Angst vor innovativen Konzepten groß. Und erst recht dann, wenn nicht sie, sondern die Mieter die künftigen Heizkostenrechnungen zahlen müssen. In der Vergangenheit haben sich Bauherren oft für die geringstmöglichen Baukosten entschieden, die Investoren der Grünheide haben auf unseren Rat die geringstmöglichen Betriebskosten als wichtigstes Kriterium gewählt.

Was macht die Energieversorgung der Grünheide aus?

Kapke: Es gibt keinen Gasanschluss und keinen Öltank für die Mehrfamilienhäuser. Auch keine Holzheizanlage. Wir versorgen die gesamten Gebäude nur mit der Wärme aus der Umgebungsluft und betreiben die dafür nötige Technik zu 90 Prozent mit vor Ort erzeugtem Strom aus Sonne, nur 10 Prozent kaufen die Betreiber als Ökostrom zu.

Woraus besteht die Anlage?

Kapke:  Die Anlage besteht aus vier großen Luftwärmepumpen auf und in dem Gebäude der Energiezentrale. Damit erwärmen wir Wasser in einem 25.000 Liter fassenden Tank. Von der Energiezentrale fließt das Wasser durch ein Nahwärmenetz mit bestens isolierten unterirdischen Rohren in kleinere Tanks in allen angeschlossenen Gebäuden und wird erst dann höher erhitzt, wenn es in den Küchen oder den Bädern genutzt wird. Das Medium Wasser ist als Wärmespeicher ein weiterer wichtiger Konzeptbestandteil.

Klingt simpel. Wie aufwändig war die Planung?

Kapke: Wenn mans kann, ists einfach: Am Anfang stand keine bisher übliche rechnerische Abschätzung der Energiebedarfe, sondern eine hochkomplexe Simulation, in der jedes einzelne Gebäude mit seinen spezifischen Merkmalen ebenso integriert werden musste wie die voraussichtlichen künftigen Nutzergewohnheiten und die Wetterdaten. Dafür bedarf es einer hoch leistungsfähigen Software, vielen Hunderttausenden von Daten im Hintergrund sowie hoch qualifizierte Spezialisten, die ein solches System sicher bedienen können.

Welche Erkenntnis steht dahinter?

Kapke: Die, dass Energie viel zu wertvoll ist, um ihre Nutzung Pi mal Daumen zu ermitteln. Jede Kilowattstunde zählt. Was nicht verbraucht wird, muss nicht produziert werden. Mit Hilfe der Simulation können wir die Technik kleinstmöglich auslegen und die Betriebskosten dauerhaft minimieren.

Wie steuert man so eine Heizanlage? Mit einem simplen Temperaturfühler am Haus doch sicher nicht mehr?

Kapke: Wohl wahr. Beim späteren Betrieb der Technik kommt eine weitere superkomplexe Software zum Einsatz. Sie wurde im Fraunhofer-Institut der Uni Freiburg entwickelt. An Hunderten von Messpunkten innerhalb der Anlage werden Daten erhoben, gleichzeitig werden die Prognosen der Außentemperaturen der nächsten Stunden und Tage eingespielt, um das Temperaturniveau im Speichermedium Wasser frühzeitig hoch- oder herunterfahren zu können.

Komplexe Simulation und digitale Steuerung mit externen Daten – das klingt nach Big Data. Und nach einer Steuerung durch Spezialisten, oder?

Kapke: Stimmt beides. Zudem sind die Systeme selbstlernend, das hinterliegende Wissen wächst mit jedem Tag des Betriebs. Und die Steuerung erfolgt durch einen Hochleistungsrechner, den die Spezialisten in unserem Hause überwachen.

Was macht sie so sicher, dass das alles über Jahre und Jahrzehnte dauerhaft funktioniert?

Kapke: Die sind Gebäude maximal gedämmt, die Lüftung der Wohnungen erfolgt automatisch. Wir können die Temperaturen in jedem Raum messen, auch den Verbrauch von Warmwasser nach Tageszeit. Und mit dem Mehr an Wissen können wir die Technik viel feiner steuern als es jemals zuvor möglich war. Und wir müssen dauerhaft keine einzige kWh mehr erzeugen als benötigt wird.

Was haben die Investoren, was haben die Mieter davon?

Kapke: Weil Sonne und Wind keine Rechnung stellen, fallen bei den Wärmekosten nur die Abschreibung und der Betriebsaufwand ins Gewicht. Während überall anderswo die Heizkosten explodieren, bleiben sie in der Grünheide langfristig niedrig. Dafür sind die Mieter gerne bereit, eine etwas höhere Miete zu zahlen. Das wiederum macht die späteren Hausbesitzer glücklich.

Wie wichtig ist eine staatliche Förderung für neue Versorgungskonzepte?

Kapke: Im Gegensatz zu manchen Bauherren finde ich sie nicht maßgeblich. Auf Dauer ist eine Wärmeversorgung, die komplett auf Erneuerbare Energien setzt, immer billiger. Entscheidend ist der Return on Invest. Der ROI beschreibt den Zeitpunkt, an dem eine Technik ihr Investment wieder eingespielt hat. Je teurer Erdgas und Heizöl werden, desto schneller macht sich die Abkehr von Oldschool-Konzepten bezahlt.

Funktioniert ihr decarbonisiertes Wärmeversorgungskonzept nur im Neubau?

Kapke: Nein, dort ist es nur am einfachsten umzusetzen. Grundsätzlich ist jedes Gebäude auf CO2-neutral umbaubar. Der Aufwand richtet sich immer auch danach, wie einfach vor Ort oder im Umfeld erneuerbare Energiequellen wie Erdwärme, Windkraft oder auch Biomasse verfügbar sind.

Ist Reich + Hölscher das einzige Büro, dass sich mit solch innovativen Konzepten auskennt?

Kapke: Nein, das glaube ich nicht. Aber von unseren Software-Partnern weiß ich, dass sich bislang nur wenige an die neue Art der Planung von Versorgungstechnik herantrauen. Die aktuelle Erdgaskrise beschert uns jedenfalls schon heute Anfragen ohne Ende. Darunter sind Wohnungsbaugenossenschaften, Städte und Kommunen ebenso wie Fabrikbesitzer. Sie alle erleben aktuell eine unschöne Abhängigkeit und fürchten sich zurecht vor immer weiter steigenden, manipulierbaren Energiekosten.

Projekt

Nachhaltiges und effizientes Wohnquartier

Entwurf

AMANDLA International GmbH & Co. KG

Bearbeitete Leistungsphasen

1-8

Auftraggeber

AMANDLA International GmbH & Co. KG
Heinrich-Hertz-Str. 1
59423 Unna
https://amandla-international.de

Nach oben scrollen